Das kleine Mädchen kneift die Augen zu, verzieht den Mund und macht ein Geräusch wie „mnäääÄÄÄÄ!“, das immer lauter wird. Ihre Mutter seufzt und tippt auf das iPad, um die nächste Folge der Kinderserie zu starten. Im Zug herrscht wieder Ruhe.
Warum brauchen wir Wörter?
Kleinkinder brauchen keine komplexe Grammatik oder einen riesigen Wortschatz. Sie kommunizieren mit Gesten, Lauten oder einzelnen Worten - und solange die Erwachsenen mitspielen, erfüllen Kinder so ihre Bedürfnisse.
Was aber, wenn ich nicht die Keksdose oder Zeit am iPad haben will? Was, wenn ich im Meeting mein Team von einer neuen Idee überzeugen muss?
Auf Englisch?
Erwachsene haben komplexe Bedürfnisse und Ideen - und leiden darunter, wenn ihre Fremdsprachenkenntnisse nicht auszureichen scheinen, um diese Ideen in Worte zu fassen:
"Ich kann auf Englisch nicht sagen, was ich will."
Dabei sind die Wörter gar nicht das Problem. Aber genau darum geht es in diesem Artikel.
Sagen und Meinen: Wir sprechen nicht, um Wörter zu sagen.
Wenn ich im Meeting sitze und einen Vorschlag machen will, habe ich mehrere Ziele:
Ich wähle meine Wort also nicht deshalb so sorgfältig, weil ich unbedingt tolle Worte benutzen möchte. Ich wähle bestimmte Worte, weil sie mir helfen, meine Ziele zu erreichen.
Wenn wir sprechen, wollen wir Inhalte vermitteln, aber auch auf andere Menschen und die Situation eingehen. Wir wollen überzeugen, beruhigen, erklären, vermitteln, verhandeln oder hinterfragen. Wir wollen nach außen signalisieren, dass wir höfliche, wertschätzende, fachlich kompetente Menschen sind.
Wir wollen zeigen, wer wir wirklich sind.Wir benutzen Worte, um auszudrücken, was wir "meinen".
Schon in den 1970ern hat Michael Halliday ein Buch mit diesem Titel geschrieben: "Learning to mean." Wenn wir Sprache lernen, so Halliday, lernen wir eigentlich "nur", ein besonders vielseitiges Instrument zu benutzen, mit dem wir immer komplexere Bedürfnisse ausdrücken können. Sprache ist ein "meaning system" - ein System, mit dem wir Bedeutungen vermitteln.
Und genau da liegt das Problem für Erwachsene, die Sprachen lernen:
Sie haben komplexe Gedanken und Ideen - aber ihre Sprachkenntnisse scheinen nicht auszureichen, um diese auch zu kommunizieren.
Die Konsequenz? Sie schweigen. Und denken: "Wenn ich Deutsch sprechen könnte, würdest du mich ernst nehmen/ für klug halten/ mögen."
Ich teile heute eine Technik mit dir, die ich immer wieder im Coaching anwende, um Menschen über diese Hürde hinwegzuhelfen:
"Ich will so Englisch sprechen wie Deutsch." Warum das keine besonders gute Idee ist.
Hast du früher auch so gerne Tabu gespielt? Dieses Spiel, bei dem du ein Wort beschreiben musst, ohne das Wort, Teile des Wortes oder andere offensichtlich zugehörige Worte zu verwenden?
Spontane Gespräche sind wie Tabu.Wenn uns ein Wort spontan nicht einfällt, benutzen wir einfach ein anderes - und meistens merken wir es gar nicht. Das klappt so gut, weil wir gar nicht in Frage stellen, ob wir genug Wörter haben, um zu sagen, was wir meinen. Wir haben volles Vertrauen in "unsere" Sprache.
Und in einer Fremdsprache haben wir das Gefühl: Das geht alles nicht. Oder nicht so gut, wie wir es wollen. Oder so, wie wir es auf Deutsch machen würden.
Lernende sagen zu mir:
"Ich will genauso Englisch sprechen wie Deutsch."
Dahinter stecken solche Gedanken: "Ich muss meine deutschen Gedanken ins Englische übersetzen. Und wenn ich das nicht kann, kann ich nicht authentisch und effektiv kommunizieren."
Das Ganze ist aber ein Trugschluss.
Wenn du sowas denkst, konzentrierst du dich aufs SAGEN.
Wie SAGE ich es auf Deutsch? Wie SAGE ich es dann auf Englisch?
Der erste Schritt ist deshalb ein Schritt zur Seite: Schau mal vom "Sagen" aufs "Meinen".Der erste Schritt: Was willst du meinen?
Mein wichtigster Coaching-Satz ist: "Can you say it in other words?'
Der funktioniert eigentlich immer, wenn jemand beim spontanen Sprechen stecken bleibt. Wenn ein Wort fehlt, sagen die Leute nämlich sowas:
"How do you say .... in English?" (Und geben mir das deutsche Wort)
Und ich sage: "Hm. Could you say it in other words?"
"But I need a translation for .... ."
Merkst du was? Die Person bleibt am "Sagen" hängen und verliert den Blick dafür, worum es eigentlich gerade gehtEs geht ja gar nicht um ein bestimmtes Wort. Es geht um Gedanken, die in Worte gefasst werden sollen.
Und dafür gibt es immer mehrere Möglichkeiten.
Mein wiederholtes "Can you say it differently" ist eine Einladung, die Aufmerksamkeit vom "Sagen" aufs "Meinen" zu verlegen. Was soll ich denn gerade verstehen? Um welchen Inhalt geht es?
Nimm die Wörter, die du hast - da ist bestimmt was Brauchbares dabei.
"Ich weiß nicht, was du meinst." - spontane Gespräche sind immer Verhandlungen
Eigentlich wissen wir alle: Es gibt nie nur eine Art, um zu sagen, was wir meinen.
Was wir sagen, ist immer nur eine Möglichkeit unter vielen.
Wenn wir unsere eigene Sprache sprechen, sind wir daran gewöhnt, unterschiedliche Worte auszuprobieren. Gespräche sind immer ein Tänzchen.
Anderen Menschen zu zeigen, was wir "meinen", ist sehr oft mit etwas Nachfragen und Verhandeln verbunden. Schätze aus Spaß mal, wie oft du in einer Woche sagst: "Nein, so meine ich das nicht."
Deshalb macht es überhaupt keinen Sinn, an den Wörtern festzuhalten, die du im Kopf hast.
Wenn du loslassen kannst, was du "sagen" wolltest, kannst du dich viel besser darauf konzentrieren, was du "meinst". Und sobald du das schaffst, wird dein Englisch auch wieder zu einem effektiven Werkzeug.
Denn: Schon mit einem guten Grundstock an Englisch kannst du sagen, was du "meinen" willst.
Du brauchst aber Strategien dafür.Wie du mit weniger Worten mehr "meinen" kannst.
Versteh mich nicht falsch: Natürlich wirst du dein Englisch im Laufe der Zeit verfeinern. Je komplexer dein Sprachverständnis wird, desto nuancierter kannst du dich ausdrücken.
Aber egal, wie komplex dein Englisch wird: Du hast immer nur die Sprache zur Verfügung, die du jetzt gerade hast:
In spontanen Situationen hast du immer nur genau die Ressourcen, die gerade da sind.
Nutzen, was da ist: Cook what's in the fridge
Die beste Strategie, um auch in spontanen Gesprächen sagen zu können, was du "meinst" ist, deine Ausdrucksfähigkeit zu trainieren.
In der Hinsicht ist Englischsprechen ein bisschen wie Kochen.
Es gibt Menschen, die können selbst in einer super ausgestatteten Küche mit einem vollen Kühlschrank nichts Essbares auf den Tisch bringen, weil das Internet nicht funktioniert und sie keinen Zugriff auf ihre Rezepte-App haben.
Es gibt aber auch Menschen, die aus einem fast leeren Kühlschrank was Tolles zum Essen zaubern. Weil sie eben wissen, wie sie die vorhandenen Ressourcen effektiv nutzen.
Je mehr Strategien du also hast, desto mehr holst du aus deinem existierenden Englisch heraus:
Je mehr Englisch du lernst, desto seltener wirst du nach Worten suchen. Du bist ja vermutlich jetzt schon oft auf allen Bedeutungsebenen unterwegs:
Mal hast du automatisch die genau die Formulierung parat, die bestimmt aber höflich klingt ("Would you open the window, please?"), mal bist du auf dem Weg dahin ("I like your idea, but I have ... erm, not problems, but .. it is not ideal, I think.") und manchmal holst du den sprachlichen Notfallkoffer raus ("I need the ... thing.").
Wenn du dich auf die Wörter konzentrieren kannst, die du schon hast, wirst du feststellen, dass du viel mehr "meinen" kannst als erwartet.
Positive Nebenwirkungen: Complex thoughts, simple words.
Also nochmal:
Das hat übrigens ganz wunderbare und oft unerwartete positive Nebenwirkungen.
Dein Publikum wird es dir danken.
Ist dein Ziel, von so vielen Menschen wie möglich verstanden zu werden? Dann ist die Fähigkeit, Ideen unterschiedlich - und so einfach wie möglich - auszudrücken, eine Geheimwaffe. Menschen schätzen es, wenn du klar kommunizierst. Es heißt ja nicht umsonst: Keep it short and simple.
Klare, einfache Worte sind oft am besten geeignet, um deine Gedanken auch klar und verständlich zu kommunizieren.
Complex thoughts, simple words.
Ich weiß, wie verbreitet der Glaube ist, dass man alle möglichen komplexen Wörter und Strukturen braucht, um komplexe Ideen auszudrücken. Das stimmt aber nicht. Komplexe Ideen lassen sich immer auch in einfachen Worten ausdrücken. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Alle Ideen lassen sich in einfachen Worten ausdrücken. Es ist nur manchmal schwieriger, die einfachen Worte zu finden.
Das Ergebnis?
Aber ich will dich dazu ermutigen, deine Zeit so zu investieren, dass du jetzt schon den größten Nutzen aus deinem Englisch ziehen kannst. Denn je weniger Zeit du in Gesprächen damit verbringst, ganz bestimmte Wörter zu suchen, desto flexibler, entspannter und selbstbewusster wirkst du. Oder wie eine Kundin von mir mal meinte:
"I didn't have the word, so I used a different one."
So kannst du dich endlich auf das konzentrieren, was du meinst.