Was ist der „richtige“ englische Akzent? Spoiler: Das ist die falsche Frage.

April 18, 2024

Don't date bullies.


Stell dir vor, du gehst auf ein Date. Ein richtig schönes. Und dann kommt der Satz: "Du, ich mag dich ja, aber ganz ehrlich: dein Akzent geht gar nicht."

Wie reagierst du?

Vor einigen Jahren habe ich diesen Satz in einem Facebook-Forum gelesen: "Er hätte mich nie geheiratet, wenn ich einen deutschen Akzent hätte."

Und ich dachte: Wie bitte?!

Dann las ich die Kommentare und dachte: WIE BITTE???

Denn auf die Anekdote folgte keine Entrüstung, sondern eher so ein “ja, schon schlimm, ich weiß, manche Akzente klingen einfach schlimm”-Gemurmel.

Kein Wunder, dass so viele Menschen sich nicht trauen, in Gruppen Englisch zu sprechen.


Darum gehts:

Warum sprechen alle über Akzente?


Akzente gibt es in jeder Sprache - und alle haben eine Meinung dazu.


Ja, es gibt Menschen, die sich in Akzenten verhaken. Manchmal sogar genussvoll. Sie schreiben in Blogartikeln und Internet-Foren darüber. Und sie sagen nach Meetings so Sachen wie: "Ach, dein Akzent ist so lustig, sag das nochmal." Oder: "Komisch, dass Menschen mit deinem Akzent immer wütend klingen, oder?"

Durchatmen. Und erkennen: Das hat nichts mit dir zu tun. Und auch gar nicht unbedingt etwas mit deinem Akzent, oder der Tatsache, dass du gerade nicht deine Muttersprache sprichst.

Wir alle nehmen Akzente wahr.


Und das natürlich nicht nur, wenn jemand eine Fremdsprache spricht. Auch in der eigenen Sprache gibt es Akzente und Dialekte. Und auch in unserer eigenen Sprache werden manche Akzente positiver wahrgenommen als andere. Manche Akzente werden als “nicht ernstzunehmen” abgestempelt, egal, wie klug und differenziert die Person ihre Gedanken artikuliert. Ich erinnere mich sehr lebhaft daran, wie ich während meines Master-Studiums beim Vortrag einer Freundin im Publikum saß und zwei Zuhörerinnen hinter mir anfingen zu kichern: “She’s such a Brummie.” Ja. Sie kommt aus Birmingham. Und sie hat echt Ahnung von dem, was sie sagt. Get over it.

Was ist "Akzentismus"?


Das Phänomen heißt: Accentism. Akzentdiskriminierung bedeutet, dass Menschen eine negative Einstellung gegenüber bestimmten Akzenten entwickeln. Die Folge ist, dass Menschen, die diese Akzente sprechen, negativ oder ungerecht behandelt werden - zum Beispiel, indem man ihnen im Beruf weniger zutraut, weil ihr Akzent mit einem geringeren Bildungsstatus assoziiert wird.

Hui, heftig. Right? Und: Alle Menschen haben einen Akzent. "Akzentfrei" sprechen geht gar nicht. Denn auch wenn du deine eigene Sprache sprichst, verrät dein Akzent etwas über deine Herkunft. Akzentdiskriminierung betrifft also potenziell alle Menschen.

Denn: Wir lernen sehr früh, zu erkennen, wer “so spricht wie ich” und wer nicht. Und was wir gut kennen, hören wir lieber.

Akzente "wahrnehmen" ist normal.


Das ist an sich gar nicht bösartig. Einen Akzent zu erkennen, bedeutet erstmal nur, zu erkennen: Aha, du sprichst anders als ich. Und vielleicht auch: Hui, deine Sprachmuster kenne ich noch nicht so gut wie meine eigenen.

"Akzentismus" ist Wertung.


Akzentismus ist das erst dann, wenn wir diese Unterschiede mit einer Wertung verknüpfen, ob bewusst oder unbewusst. Dieser Akzent klingt gebildet, jener nicht. Dieser Akzent klingt sympathisch, jener nicht. Dieses Englisch klingt für mich “richtig”, das andere nicht.

Mit dem Thema habe ich mich zum ersten Mal im Grundstudium Germanistik beschäftigt, im Proseminar zu regionalen Dialekten und ihrer Wahrnehmung im beruflichen Umfeld. Mittlerweile beschäftigt mich das Thema, weil meine Kundinnen mich immer wieder fragen: Was ist denn nun der "beste" englische Akzent? 

Egal, ob es um die eigene Sprache oder Fremdsprachen geht - dahinter steht immer die gleiche Frage: Wie schaffe ich es, dass ich dazugehöre?

Es geht um Zugehörigkeit.

Wer den "richtigen" Akzent hat, gehört dazu. Alle anderen sind raus. Das ist ganz charmant, wenn ich nach Hause zu meiner Familie fahre und mich freue, dass hier alle wissen, was ein “Kneipchen” ist. Es ist weniger charmant, wenn Menschen keine Beförderung bekommen, weil sie den “falschen” Akzent haben, oder wenn suggeriert wird, dass nur dieser oder jener Akzent “richtig” ist. Dass ein Akzent als "richtig" wahrgenommen wird, oder dass bestimmte Gruppen behaupten können, "ohne Akzent" zu sprechen, sagt nichts über "richtige" Sprache aus, sondern über den sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Status, der mit bestimmten Akzenten assoziiert wird. Heather Hansen formuliert das hier treffend.

Welches Englisch sollst du also lernen?


Wer Englisch lernt, stolpert früher oder später über die Frage: Welches Englisch ist denn jetzt das bessere, richtigere, schönere? Ist es schlimm, wenn ich "non-native" klinge? Und wenn ich schon irgendeinen “native accent” anstrebe - welchen nehme ich dann? 

Die Antwort auf solche Fragen ist nicht so einfach. Denn einerseits wollen wir beim Sprechen ja "dazugehören". Nur … zu welcher Gruppe willst du eigentlich gehören? Und wer bestimmt, ob du das "geschafft" hast?

Und: Willst du dieses Spiel spielen?

Wenn du dich auf die Diskussion einlässt, welcher Akzent "am besten" klingt, und welches "das richtige Englisch" ist, dann spielst du dieses Spiel mit. Und du wirst je nach Umfeld immer andere Antworten bekommen. Denn wer dazugehört, entscheiden ja immer die anderen.

Das ist die traurige Wahrheit: Entweder Menschen lassen dich in Ruhe sprechen, oder sie tun es nicht.

Wer dir einen Raum und eine Stimme gibt, wird das immer tun, egal ob deine "th" so klingen wie die in Irland oder in Yorkshire, oder in Westminster oder in Bielefeld. Und wer dich klein machen will, macht dich klein. Egal, wie lange du vor dem Spiegel das perfekte "wh" oder "th" übst.

You can’t beat them at their own game.

Irgendjemand wird immer sagen: So ist es aber falsch. Und das bedeutet nicht, dass eine "richtige" Variante gibt, die du nur finden und in deinen Sprachapparat hineinprügeln musst. Es gibt keine "richtige" Variante.

"Richtig" heißt für andere Menschen immer nur: So wie ich es gelernt habe. So wie ich es mache. 

Es geht um Kommunikation.

Die Frage nach dem “richtigen” Akzent ist ein Schattenspiel.

Die eigentliche Frage ist nämlich: Was willst du mit deinem Englisch erreichen? Und welchem äußeren Druck bist du dabei ausgeliefert?

Es geht dir vermutlich darum, mit anderen Menschen zu kommunizieren - richtig? Und Kommunikation funktioniert, wenn du klar und verständlich sprichst. Wenn du auf dein Publikum eingehst. Deine Inhalte vorbereitest. Dein Wissen teilen willst und kannst.

Und diese Fähigkeiten haben viel mehr mit klarer Aussprache und Intonation zu tun als mit deinem Akzent.

Die erste Frage sollte also sein: Können mich die Menschen verstehen?

Wenn das der Fall ist, kannst du dir überlegen, ob du deine Zeit wirklich mit Akzentreduzierung verschwenden willst, oder ob du dich lieber auf Inhalte und eine klare Ausdrucksweise konzentrierst. Mal davon abgesehen, dass “Akzentreduktion” so klingt, als würde dir jemand einen Teil deiner Persönlichkeit rausschneiden, oder?

Verschwende deine Zeit nicht.


Du kannst natürlich versuchen, einen bestimmten Akzent nachzuahmen. Aber welchen? Und wie? Und wie lange dauert das? Und: Ist das wirklich die effektivste Art, dein Englisch zu verbessern? Nein. Ist es nicht. Ausnahme: Wenn von außen großer Druck auf dich ausgeübt wird, unbedingt eine bestimmte Art von Englisch zu sprechen. ABER: Das ist heutzutage extrem selten. Die meisten Menschen handeln in internationalen Kontexten, in denen sowieso mit ganz unterschiedlichen Akzenten Englisch gesprochen wird.

Don't date bullies.

Wenn dir jemand vorschreibt, wie du “richtig” zu klingen hast, hinterfrage ganz genau:

  • Warum empfiehlt die Person das?
  • Versteht sie dich wirklich nicht?
  • Oder hat sie irgendwann gelernt, dass man “so und nicht anders” spricht - und seitdem hat sie das nie wieder hinterfragt?
  • Oder nimmt die Person sich einfach das Recht heraus, dich eigentlich grundlos ein kleines bisschen kleiner zu machen?

Was du tun kannst:


Be your own best audience.


Du kannst die anderen nicht ändern. Du kannst ihnen auch nicht immer aus dem Weg gehen.

Du musst ihnen aber auch nicht so genau zuhören. Und du musst nicht wiederholen, was sie sagen, indem du dir auch noch selbst gemeine Sachen ins Ohr flüsterst, wenn du Englisch sprichst. Behandle dein Englisch wie deine allerbeste Freundin, die nach dem Date mit diesem Vollhonk bei dir am Küchentisch sitzt. Der hat dich gar nicht verdient. Du bist wunderbar.

Spiel das Spiel nicht mit.


Stimme nicht mit in das "ja stimmt, hihi, der Akzent"-Gemurmel mit ein. Du würdest ja auch nicht mit dem Typen mitlachen, der deiner Freundin grinsend ins Gesicht sagt: "Funny, can you say that again? Your accent sounds so stupid, it’s hilarious." Richtig? Richtig?!

Lass Kritik und Kommentare nicht ungebeten auf andere los.


Korrigiere den Akzent anderer Menschen nicht, wenn sie dich nicht um Feedback gebeten haben. Natürlich verstehen wir Akzente leichter, wenn wir sie öfter hören. Das gibt uns aber nicht das recht, zu bewerten, welche Akzente jetzt “besser” sind. Und auch “gutgemeinte” Ratschläge reflektieren oft nur, was wir selbst als “normal” empfinden. Solange du die andere Person verstehst, gibt es keinen Grund, ihren Akzent zu kommentieren.

Hör öfter zu.


Achte darauf, selbst möglichst vielfältiges Englisch zu hören. Dann gewöhnst du dich an unterschiedliche Arten, Englisch zu sprechen und wirst entspannter, wenn du jemanden erstmal nicht verstehst. Hey, ich kenne deinen Akzent noch nicht so gut. Sprich weiter, dann gewöhne ich mich dran. Außerdem merkst du , wie vielfältig Englisch ist, und dass dein eigenes Englisch sich in dieser Vielfalt ganz wohl fühlen kann.

Du kannst dir selbst ein gutes Publikum sein. Und anderen. Und du kannst dir Menschen suchen, die dir mit Respekt und Offenheit zuhören, damit du in dieser Umgebung dein Englisch ausprobieren und wachsen lassen kannst.

Don’t date bullies. And don't be one.


Ressourcen:

Heather Hansen schreibt und spricht über "accent bias" und "international English":

CIRCE Projekt:
Auf der Seite des CIRCE-Projekts erfährst du mehr darüber, was Akzentdiskriminierung ist, wie sie sich in Studium, Beruf und Alltag auswirkt, wer besonders davon betroffen ist, wie sich diese Art der Diskriminierung in unterschiedlichen Ländern zeigt und wie man sich und andere für das Thema sensibilisieren kann. Sehr empfehlenswert: Die Ressourcensammlung mit Medienecho.

The Conversation:
Auf The Conversation findest du immer mal wieder Artikel zu Linguistik, und damit auch zu "accentism". Ich empfehle diesen Artikel zu "accentism" in Großbritannien.

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