Hedging – Stehst du hinter deinen Aussagen?

November 17, 2020

Stehst du hinter deinen Aussagen, oder versteckst du dich?

Nein: Es geht nicht um Pflanzen und auch nicht um Fonds oder andere Finanzthemen.

Es geht um Sprache.

Und zwar um Formulierungen, die Aussagen abschwächen. "Hedging"-Formulierungen sind sprachliche Hecken – sie verbergen und maskieren Meinungen oder Behauptungen. "Hedging" ist aber nicht nur die Sprache von Politikern und Managern mit "PR für Fortgeschrittene"-Zertifikaten an der Wand. Wir alle "hedgen", und oft auch aus guten Gründen.

Was ist "Hedging"?

Sogenannte Heckenbegriffe sind Formulierungen, die eine Aussage so abwandeln, dass sie höflicher wirkt, oder auch ungewisser, unsicherer, und weniger zuversichtlich. Oder unverbindlicher. 

In der Schule hattest du mit "Could you open the window, please?" schon deinen ersten Heckenerfolg. "Could" ist ein typischer "softener", also eine sprachliche Hecke, die die Aufforderung höflicher wirken lässt.

Sprachnotiz #1
Modalverben sind effektive Hedging-Werkzeuge.

Im Beruf ärgerst du dich vielleicht manchmal über "Hedging". "We might sort of have to discuss this again later." Oder "well, arguably yomight be due a pay rise." Mit jedem "might", "sort of" und "arguably" wird deine Gehaltserhöhung unwahrscheinlicher.

Sprachnotiz #2

Adverbien wie "arguably" oder "somewhat“ schwächen Aussagen ab.

Vielleicht bist du auch schon über unangemessenes "Hedging" in Zeitungsberichten gestolpert:

"The alleged press conference took place in the car park of a landscaping business."

Na gut. Das Zitat habe ich mir ausgedacht. Aber die Pressekonferenz gab es tatsächlich, nicht nur "allegedly", also angeblich.

Sprachnotiz #3

Das Wort "allegedly" sollte nicht für tatsächlich Geschehenes verwendet werden.

Und wenn du wissenschaftliche Texte schreibst, verwendest du ganz sicher selbst auch "Hedges":

"The data suggest that there is a link between temperature and growth." Oder so. 

Sprachnotiz #4

Auch Verben wie "suggest" oder "claim" vermitteln deine Haltung zu einer Aussage.

Heckenpflege für Sprachenlerner

Wenn du Englisch lernst, stellt “Hedging” dich vor mehrere Herausforderungen. 

  • Hecken erkennen: Nicht jedes Modalverb ist gleich auch eine "Hedging"-Strategie. "Hedging" zu erkennen und angemessen einzuordnen, ist also nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine kulturelle Herausforderung.
  • Hecken sind Kulturlandschaften: Je nach Kontext werden Heckenbegriffe anders eingesetzt. Sie angemessen zu verwenden, ist also nicht ganz ohne.

In diesem Beitrag lernst du Hecken besser kennen:

  • Welche Funktionen haben "Hedges"?
  • Wie sehen sie aus?
  • Wie kannst du "hedging" lernen?

Warum gibt es eigentlich "Hedging"?

Ist "Hedging" guter Stil, oder solltest du es vermeiden? 

"Hedging" ist weder gut noch schlecht, genauso wie das Passiv weder gut noch schlecht ist. Es kommt wie so oft darauf an, wie bewusst du es einsetzt.

Du könntest sogar so weit gehen, dass Sprache gar nicht ohne Heckenbegriffe auskommt. Wie oft bist du dir schon 100%ig sicher? Oder 100%ig unsicher? Meistens liegen wir irgendwo dazwischen. Hast du gerade Hunger? Vielleicht so ein bisschen. Läuft es gerade gut bei der Arbeit? Na ja, eigentlich schon. Magst du deinen Chef? In gewissem Maße. Würdest du jemals etwas stehlen? Vielleicht, unter bestimmten Umständen. Ist ein Pinguin ein Vogel? Kommt auf die Definition von Vogel an.

Das letzte Beispiel ist von George Lakoff, der schon in den 1970ern darüber geschrieben hat, wie “Hedging“ uns durch die Grauzonen der Sprache hilft:

George Lakoff

"Natural language sentences will very often neither be true, nor false, nor nonsensical, but rather true to a certain extent and false to a certain extent, true in certain respects and false in other respects." (1973, p.458)

Wir brauchen "Hedging", weil unsere Welt nicht glasklar ist, sondern "fuzzy" – also unscharf. Heckenwörter sind Wörter "whose job is to make things fuzzier or less fuzzy" (Lakoff, p.471).

Wie das im Einzelnen aussehen kann, siehst du an den folgenden Beispielen.

"Hedging" für Vorsichtige: Verantwortung ablehnen

"Hedging" hat Image-Probleme. Nicht, weil wir dabei an Banken denken, sondern weil es mit Geschwafel und gewitzter Pressearbeit assoziiert wird. Wer sich hinter einer Hecke versteckt, übernimmt keine Verantwortung.

"Will you support the initiative?"
"I would like to say that the initiative arguably appears to be a worthy cause."

Das ist nicht nur eine Hecke, sondern ein ganzer Irrgarten. 

Sprachnotiz #5

Auf Englisch heißt so eine Heckensammlung "cluster".

Warum tun uns Politiker, Journalisten und andere Autoren sowas an?

  • CYA = Cover your anatomy, oder auch So Sue Me. Wer keine definitiven Aussagen macht, kann hinterher auch keinen Ärger dafür bekommen. 
  • Getting off the hook = Dito – lieber nicht festlegen, dann kann man hinterher auch nicht dafür verantwortlich gemacht werden.
  • Gewohnheit: Sag das bloß nicht, wer weiß, was passiert – wer sich regelmäßig öffentlich äußern muss, gewöhnt sich “hedging” an.
  • Unsicherheit oder mangelndes Wissen: Wer über Themen sprechen muss, zu denen er kein Experte ist, wird sich ungern festlegen.

Unsinnig und nervig ist "Hedging" dann, wenn es zum Reflex wird: "The alleged fire was extinguished successfully in the early hours of the morning." Das Feuer gab es wirklich, es war also nicht "alleged". Warum also der CYA-Impuls?

Auch der Linguist Steven Pinker spricht sich entschieden gegen "fluff" aus, also Ausdrücke, die nur verwirren, Verantwortung vermeiden oder als unsinnige Gewohnheit in den Text schleichen. 

Aber er betont auch, dass "Hedges" eine wichtige Funktion erfüllen können:

Steven Pinker

"It’s not that good writers never hedge their claims. It’s that their hedging is a choice, not a tic." (2014, p.45)

"Hedging" für Verantwortungsbewusste

.... wenn eine Aussage nur bedingt oder nicht sicher zutrifft.

Meerschweinchen sind gut für Patienten. Aber vielleicht nicht immer, und ganz sicher nicht, wenn die Patienten eine Tierhaar-Allergie haben. Und außerdem wurde das nur in einer Studie mit ganz bestimmten Patienten und unter bestimmten Bedingungen gezeigt. Also lieber: 

"A recent study suggests that guinea pigs might motivate patients during recovery from surgery." 

Mit den zwei "Hedges" übernimmt der Autor Verantwortung für seine Leser.

... wenn eine falsche Einschätzung negative Konsequenzen haben könnte

Anwälte wissen sowas. Daher kam ja auch die Sache mit dem “So Sue Me”. Wer sich zum Beispiel in Verträgen ungenau ausdrückt, bereut es später sicherlich. Anwälte sind Masters of Hedging, und aus gutem Grund. Beliebt sind beispielsweise if-Sätze, die bestimmte Umstände einschränken.

Sprachnotiz #6

Auch if-Sätze können als "Hedging"-Werkzeuge eingesetzt werden.

.... wenn Ergebnisse vorläufig oder unsicher sind

Also eigentlich in jeder Art von wissenschaftlichem Schreiben, denn die eigene Forschung muss angemessen vertreten werden. Dazu gehört auch, die eigenen Grenzen zu kennen. Wer hier mit absoluten Aussagen um sich wirft, gilt schnell als arrogant oder naiv. In den Wissenschaften wird Wissen geschaffen – und Akademiker wissen, dass ihre Ergebnisse Teil eines Prozesses sind. Wer also sorgfältig mit "Hedging" umgeht, wirkt nicht wischiwaschi, sondern glaubwürdig.

... wenn direkte Aussagen unhöflich oder respektlos wirken könnten

Wie in der Schule: “Open the window” wirkt zu direkt, “Open the window, please” ist besser, “Could you open the window, please” gibt gute Noten. 

Das ist im täglichen Umgang wichtig, oder auch im Management, und besonders auch in wissenschaftlichen Texten:

The analysis offered by Smith et al. (2018) may need to be re-evaluated in the light of these findings.

Die Aussage zeigt Respekt gegenüber Smith et. al. Manche Autoren mögen ein bisschen Konfrontation und würden schreiben "The analysis.... is therefore outdated." Das ist Geschmackssache, zeigt aber:

Sprachnotiz #7

Du bist als Autor immer sichtbar im Text.

Deshalb kannst und musst du selbst entscheiden:

  • Inwieweit sollte ich meine Ergebnisse als Teil eines wissenschaftlichen Dialogs kenntlich machen?
  • Wann sollte ich meine Ergebnisse und Theorien “fuzzy“ formulieren, wann nicht?
  • Bin ich offen für andere Sichtweisen und lade bewusst zu einer Diskussion ein? 

Es gibt also gute Gründe für und gegen "Hedging".

Sprachenlerner im Gestrüpp – Warum "Hedging" so schwer zu lernen ist

Wir sehen oft die Hecke vor lauter Blättern nicht

Sprachenlerner müssen erst mal lernen, "Hedging" überhaupt zu erkennen.

Stell dir vor, dein Teamleiter fragt dich: "Could you finish this report by Friday?"

Das ist ein Klassiker. Der Sprecher bittet nicht um eine realistische Einschätzung. Er erwartet: "Yes, of course." In manchen Kulturen werden Aufforderungen von "oben" sehr selten direkt ausgesprochen. Das heißt aber nicht, dass die Hierarchie nicht besteht, oder dass die Aufforderung weniger ernst gemeint ist. Auch eine Aussage wie "Did you have a chance to..." kann ein "Hedging device" sein (das video mit der Übung zu chance, opportunity und possibility gibt es hier).

Solche Fehleinschätzungen führen immer wieder zu Missverständnissen und tragen auch zu der ewig-wiederholten Aussage bei: "Germans are so rude." Wir "hedgen" vielleicht weniger. Und nicht nur wir.

Warnung: Nicht-Muttersprachler erkennen “hedges“ oft nicht.

Weder in Unterhaltungen noch in Texten. Als wären sie unsichtbar. Das ist zum Beispiel dann ein Problem, wenn eine Aussage als Tatsache interpretiert wird, obwohl ein Autor ein "probably" oder "might" eingebaut hatte (Low 1996).

Und bevor du jetzt entnervt und frustriert aufgibst, weil "das ja total fies ist für Sprachenlerner": 

Auch Muttersprachler erkennen sprachliche Feinheiten nicht immer.

Selbst Muttersprachler lernen für jeden neuen Kontext, wie sie bestimmte Ausdrücke verwenden.

Dazu gehört, dass muttersprachliche Studenten an der Uni lernen, "hedges" in wissenschaftlichen Texten zu erkennen und angemessen zu verwenden. Erfahrungsgemäß finden sie das nicht unbedingt leichter als non-native-speaker. Sie haben nämlich zusätzlich die innere Hürde des "aber warum kann ich das nicht einfach so sagen, wie ich es gewohnt bin." 

Wie lernen wir kontextgebundene Sprache?

Sobald wir über sprachliche Nuancen und Gewohnheiten sprechen, geht es um Kultur. Wie viel und wie genau "Hedging" eingesetzt wird, hängt von der Kultur in einem Land, in einem Berufsfeld und oft sogar in einer Firma oder Gruppe ab. 

Uff, und wie lernt man sowas?

Natürlich gibt es Studien darüber, dass Frauen mehr "hedgen" als Männer, oder dass deutsche Akademiker weniger "hedgen" als Briten – aber ich würde dir nicht empfehlen, solche Regeln zu verinnerlichen. 

Warum? Weil das Leben anders ist. Und weil sich die Dinge ständig ändern. Deshalb finde ich es sinnvoller, generell zu verstehen, wie Heckenausdrücke aussehen können und dann Menschen zu beobachten.

Sprachnotiz #8

Beobachte deine Umgebung: wie ist die "Heding"-Kultur in deinem Fachbereich, in deiner Firma oder in deinem Team?

Beispiel: wissenschaftliche Texte

Wer viel liest, schreibt besser. Lies Artikel aus deinem Fachbereich und achte darauf, wie andere Autoren "hedging" einsetzen. Wie werden Meinungen formuliert, Hypothesen vorgestellt oder Forschungsergebnisse präsentiert? Das ist von Fachbereich zu Fachbereich unterschiedlich, und indem du viel liest, lernst du die Schreibkonventionen in deinem Fach kennen. So kannst du nicht nur die Aussagen anderer Autoren empathischer und kritischer beurteilen, sondern auch deine eigenen Ergebnisse eindeutiger und bewusster einordnen. 

Kurzanleitung "Hedging"

Kurzanleitung Hedging

Zusammenfassung

  • "Hedging" hilft uns, die "fuzziness" der Realität auszudrücken – es ist also weder gut noch schlecht.
  • "Hedging" kann Aussagen relativieren, abschwächen oder höflicher gestalten, Unsicherheit ausdrücken und Verantwortung abweisen oder betonen.
  • "Hedging" zu verstehen, lohnt sich. Es erlaubt dir, die Aussagen anderer besser einzuschätzen und auch selbst zu entscheiden, wann du "Hecken" pflanzen möchtest und wann du vielleicht aus Versehen im Gestrüpp sitzt.

"Hedging"-Sprache

Hedging Sprache

Eine Übung

Stell dir vor, du willst die folgenden Aussagen vorsichtiger formulieren.

  1. 1
    This decision will damage the economy.
  2. 2
    He is a liar.
  3. 3
    We will never make it in time.
  4. 4
    The results show that pandas are genetically disposed to playful behaviour.
  5. 5
    Dachshunds are particularly good pets for people with anxiety disorders.
  6. 6
    We have to dismiss the entire management team.
  7. 7
    Penguins are not birds.
  8. 8
    I am disappointed with the result.

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Literatur

Hyland, K. (1998) 'Boosting, hedging and the negotiation of academic knowledge', Text - Interdisciplinary Journal for the Study of Discourse, 18(3), pp. 349-382.
Hyland, K. (2000) 'Hedges, Boosters and lexical invisibility: noticing modifiers in academic texts.', Language Awareness, 9(4), pp. 179-197 .
Lakoff, G. (1973) 'Hedges: A Study In Meaning Criteria And The Logic Of Fuzzy Concepts', Journal of Philosophical Logic, 2(), pp. 458-508.
Pinker, S. (2014) The Sense of Style, New York: Penguin.
Sharndama, E.C. and Panamah, J.H. (2012) 'Hedging in Professional Legal Texts', British Journal of Humanities and Social Sciences, 4(1), pp. 41-46.

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